Burgerbibliothek Bern: Schachzabel, Edelstein und der Gral

Cover
Titel
Schachzabel, Edelstein und der Gral. Spätmittelalterliche Handschriftenschätze der Burgerbibliothek Bern


Herausgeber
Burgerbibliothek Bern
Reihe
Passepartout. Schriftenreihe der Burgerbibliothek Bern, 1. Band
Erschienen
Bern 2009: Stämpfli Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 18,40
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Charlotte Gutscher

Der handliche Band von 80 Seiten eröffnet eine neue Publikationsreihe der Burgerbibliothek Bern. Gemäss dem Vorwort der Direktorin der Burgerbibliothek, Claudia Engler, ist der Name «Passepartout» Programm: Nach dem unterschiedlichen Wortsinn will das heissen, dass ganz verschiedenartige Bestände der Burgerbibliothek ins Konzept der Reihe hineinpassen sollen, quasi also «durchgehen», dass auch wenig bekannte Handschriften, Archivalien oder Sammlungsteile durch die schön gestalteten Bände ihren geeigneten Rahmen erhalten werden (entsprechend dem technischen Begriff zur Rahmung von Bildern) und irgendwann die Reihe einen «Generalschlüssel» für die Bestände der Burgerbibliothek liefern könnte.

Der erste Band behandelt gleich ein Kernthema der Burgerbibliothek: eine Auswahl von mittelalterlichen Handschriften. Entstanden ist er dank einer Zusammenarbeit der Bibliothek mit der Universität Bern, mit dem Institut für Germanistik, Abteilung für Germanistische Mediävistik. Bereits zuvor war eine elektronische Faksimile-Edition der Berner Parzival-Handschrift durch ein Team um Michael Stolz in Arbeit gewesen, nun wurde im Rahmen eines Seminars die Zusammenarbeit ausgeweitet, wurden von Studierenden wissenschaftliche Forschungsarbeiten zu den in der Burgerbibliothek aufbewahrten Manuskripten angegangen, eine Ausstellung dazu in den dortigen Räumen konzipiert und ein Rahmenprogramm vorbereitet. Und schon beim ersten Durchblättern glaubt man das grosse Engagement der Mitarbeitenden (Robert Schöller, Gabriel Viehhauser, Marius Gehrig, Isabelle Marcon und Sonja Schneider) zu spüren, die über das wenig erforschte Material eine eigene Sicht erarbeiten und diese in knapper Form darstellen. Wissenschaftlichkeit verbindet sich mit angenehmer Lesbarkeit, wenige Hinweise auf weiterführende Literatur genügen.

Die acht deutschsprachigen Handschriften aus dem 14. und 15. Jahrhundert
werden dem Leser nicht unvorbereitet vorgelegt. Michael Stolz führt in wenigen Seiten in die «verborgene Welt mittelalterlicher Handschriften» ein (S. 13–18) und liefert in gut verständlicher Form die Basisinformationen ebenso zum Verständnis formaler wie auch inhaltlicher Aspekte. Anschliessend geht Patrick Andrist auf die Geschichte der Handschriftenbestände der Burgerbibliothek Bern ein (S. 19–24). Auch wenn die Informationen zur Herkunft der Handschriften zuweilen eher verwirren (z.B. zum «Marienleben», S. 22f.), bleibt dem Leser doch in Erinnerung, wie selten sich trotz Donatorenbüchern, Inventaren und Besitzereinträgen eine genaue Herkunftsgeschichte nachweisen lässt.

Die Ehre, den Reigen der Handschriften zu eröffnen, kommt verdientermassen der Parzival-Handschrift des Wolfram von Eschenbach zu (Cod.AA 91). Ihre Edition hatte den Anstoss zur vorliegenden Publikation gegeben, der Forschungsgeschichte des Parzival gilt auch der letzte Beitrag darin (Robert Schöller, S. 73–77). Der zur Zeit der Entstehung der Berner Handschrift – 1467 – bereits mehr als 300 Jahre alte Text war im Mittelalter überaus berühmt, ja er kann als erster «Klassiker» der deutschen Literatur angesehen werden. Er schildert «den Aufstieg des Ritters Parzival vom jugendlichen Toren zum Artusritter und schliesslich zum Herrscher über das mystisch-religiöse Gralsreich». Das umfangreiche Werk wurde gemäss Inschrift von einem aus Konstanz stammenden Schreiber, Johann Stemheim, im Auftrag des Berner Twingherren Joerg Friburger gefertigt und ist reich illustriert. Die Wahl des Themas wie auch dessen Darstellung in Wort und Bild sind typisch für die Orientierung der Berner Oberschicht des 15. Jahrhunderts am höfisch-ritterlichen Ideal des Hochmittelalters.

Es folgt das im Titel zitierte Buch Konrad von Ammenhausens aus dem 14. Jahrhundert, in dem die menschliche Gesellschaft am Beispiel des Schachspiels erklärt werden soll. Das Berner «Schachzabelbuch» (Mss.h.h.X.48) ist zwischen 1377 und 1387 entstanden und umfasst zwanzig jeweils am Anfang eines Kapitels eingefügte, hübsche, kolorierte Federzeichnungen.

Auch das dritte vorgestellte Werk, das im mittleren 14. Jahrhundert von Ulrich Boner zusammengestellte Fabelbuch «Edelstein» (Mss.h.h.X.49), geschrieben um 1470, ist reich illustriert. Eine Entstehung in Bern ist wahrscheinlich, zeichnet doch als Schreiber Heimon Egli, der als Vogt von Erlach belegt ist.

Es folgt die Vorstellung eines 34 Seiten umfassenden, unvollständigen «Marienlebens», das Teil einer in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zusammengestellten Sammelhandschrift bildet (Mss.h.h.X.50). 25 Federzeichnungen mit interessanter Ikonographie illustrieren den Text.

Die in der zweiten Hälfte des Katalogs vorgestellten Handschriften sind nicht
illustriert. Im nächsten Beitrag erfährt man, dass die Tradition des Minnesangs aus dem 14. Jahrhundert nicht nur durch die bekannten Liederhandschriften überliefert ist, sondern dass – eingebunden in eine Sammelhandschrift (Cod.260) – eine so genannte Berner Handschrift «p» existiert, die für die Forschung interessante Minnesangstrophen tradiert. Oder man lernt anhand eines doppelseitig beschriebenen Pergaments, dass ein Liebesbrief des 15. Jahrhunderts nicht persönlich zu deuten ist, sondern als literarische Gattung klaren Konventionen unterliegt und in seinen Anspielungen die hohe Bildung des Verfassers demonstriert (Cod.749.8).

Um die Liebe geht es auch im Roman von Pontus und Sidonia, der im Berner
Beispiel des mittleren 15. Jahrhunderts ebenfalls Teil einer Sammelhandschrift bildet, die interessanterweise gedruckte und handschriftliche Teile verbindet (Mss. Mül.619).

Den Abschluss bildet ein lediglich zweiseitiges Fragment aus dem 15. Jahrhundert, das die einzige erhaltene deutsche Bearbeitung eines sehr berühmten französischen Stoffes aus dem 14. Jahrhundert darstellt: des Romans «Cléomadès ou le cheval de fust» des Dichters Adenet le Roi (um 1240–um 1300). Auch es ist in eine Sammelhandschrift eingebunden (Mss.h.h.VII.81).

Zweifellos ist der erste Band der neuen Reihe geglückt. Der Blick auf die eigenen Bestände der Burgerbibliothek lohnt sich ebenso für Fachleute wie für Laien. Die grafische Umsetzung des oben vorgestellten Konzeptes überzeugt, ist überaus ansprechend, modern und doch zeitlos. Der Kunsthistorikerin sei abschliessend eine Bemerkung erlaubt: Da die Illustrationen der Handschriften im Erscheinungsbild des vorliegenden «Passepartout» eine wichtige Rolle spielen, wäre eine fundierte Würdigung derselben, evtl. eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Kunstgeschichte der Universität, wünschenswert gewesen. So bleibt zu hoffen, dass die Publikation wenigstens auf diesen «ungehobenen Schatz» aufmerksam macht und entsprechende Arbeiten nach sich zieht.

Zitierweise:
Charlotte Gutscher: Rezension zu: Burgerbibliothek Bern (Hrsg.): Schachzabel, Edelstein und der Gral. Spätmittelalterliche
Handschriftenschätze der Burgerbibliothek Bern, (Passepartout. Schriftenreihe der Burgerbibliothek Bern, 1. Band), Bern, Stämpfli, 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 71, Nr. 4, Bern 2009, S. 59f.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 71, Nr. 4, Bern 2009, S. 59f.

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